Ich habe eine Freundin. Wir kennen uns seit 40 Jahren, 30 von ihnen sind wir fast täglich zusammen. 2002 arbeitete sie in der Privatwirtschaft in einer Autohandlung. Da das gesamte MARTIN-Klub-Team zu einer Konferenz nach Wien eingeladen wurde, war es notwendig, dass sich jemand eine Woche lang in unserem Kinderheim um die Kinder kümmerte. Swetlana (Koseform: Sweta) nahm Urlaub, verbrachte diese Tage dort – und kehrte nie in ihre Autohandlung zurück. Vor etwa 10 Jahren sollten wir einen sechsjährigen Jungen in ein Internat geben, weil seine Eltern gestorben waren. Die Behörde stellte seine Dokumente aus. Verwandte fanden sich nicht, die ihn hätten aufnehmen können. Und so landete er in Swetas Familie. Und dann auch sein Bruder, denn „Wie kann ein Bruder unseres Sohnes in einem Internat leben?“
Swetlana hat einen Partner. Dieser Mann ist charakterfest, aber weder sentimental noch fromm. Dessen ungeachtet betete Fjodor, nachdem er einen unerwarteten Gewinn gemacht hatte und zu Bett gegangen war, um zu erfahren, wem er eine Spende zukommen lassen sollte. Entweder der Kirche oder einer bestimmten Person. Am Morgen begegneten wir uns. Ich erinnere mich, dass Swetlana irgendwohin fuhr, und Fjodor musste loswerden, was er geträumt hatte – und erzählte es mir. Er träumte, dass er zu einem Kinderheim gekommen war und anklopfte. Und ihm wurde ein hinkendes Mädchen mit sehr lockigem Haar herausgebracht, das sagte: Wie jetzt, Fremde hast du aufgenommen und dein eigen Fleisch und Blut ausgesetzt? Der Mann wachte schweißgebadet auf und beschloss, ein Zimmer für das neue Kind an das Haus anzubauen. Daran, dass keines seiner eigenen Kinder in irgendeinem Heim lebte, bestand niemals ein Zweifel. Aber früher erhielt er auch niemals eine Antwort auf seine Gebete.
Zwei Monate später rief uns eine Mitarbeiterin des Kinderhilfsdienstes, der nichts mit der Kirche zu tun hatte, an und sagte: Wir haben ein Kind mit angeborener Hüftluxation, und wir beten, dass es irgendjemanden gibt, der es in seine Familie aufnimmt. Andernfalls müssen wir sie in ein Heim für Behinderte geben. Und dort stirbt sie sofort. Ich war noch am Telefonieren, als Swetlana schon mit den Händen zu winken begann. Nehmen wir, nehmen wir, sie ist unsere. Am Ende des Telefonats wiederholte ich diese Worte, und da war das Kind auch schon untergebracht: seit Familie Petrenko (Swetlana und Fjodors Familie) den ersten Jungen aufgenommen hatte, waren 11 Monate vergangen. Das bedeutete, dass ihre Dokumente (zur Gestattung einer Adoption) noch vorlagen und gültig waren. Sie brauchten keine neuen zu beantragen. Ein echtes Wunder. Eine Woche später war Nastja schon in ihrem neuen Zuhause. Sie war vollkommen kahlköpfig. Mit ihren 4 Jahren wog sie 9 kg und hatte genauso viele Diagnosen aufzuweisen. Als ich in ihrer Krankenakte blätterte, dachte ich: Wenn die Unterlagen zu uns gelangt wären, bevor wir das Kind gesehen hatten, so wäre Fjodors Traum wahr geworden, und er hätte „seine“ Nastja im Heim gelassen.
Und trotzdem lerne dieses kleine Menschlein innerhalb eines Jahres sprechen. Ihr erstes Wort war „Bier“, das sie im Laden klar und durchdringend aussprach, als sie einen vertrauten Gegenstand erblickte. Sie verblüffte damit die errötenden Eltern, die schon sehr lange gar keinen Alkohol mehr getrunken hatten. Dann lernte sie neue Wörter. Jetzt verblüfft Nastja mit ihrer Redekunst und ihrem Vermögen, meisterhaft pädagogische Wahrheiten zu präsentieren (Es stellte sich später heraus, dass ihre biologische Großmutter Lehrerin gewesen war. 😉).
Bereits im ersten Jahr – stellen Sie sich das vor – wurde bereits die Hälfte der Diagnosen hinfällig. Das Kind blühte auf. Swetlana hatte es nicht leicht: Monate vergingen in einer fremden Stadt im Krankenhaus mit Operationen, Nastja musste ein Jahr lang Gips tragen. Aber sie pflegten sie gesund. Und als wir 2014 vor dem Krieg flohen, war sie eine gewöhnliche Erstklässlerin mit lockigem Haar, die sich wie eine ganz normale Tochter von außergewöhnlichen Eltern fühlt. Auch die älteren Jungs wuchsen so auf, dass die Bräute Schlange stehen: höflich, gebildet und gutherzig – wie Lords.
Heute ist der Adoptionstag. Außer dieser drei Kinder, über die ich schrieb, haben sie noch drei: ein leibliches und zwei angenommene, insgesamt sechs. Und noch viele weitere, die außerhalb der Familie unterstützt werden. Ich gratuliere Swetlana Petrenko und Fjodor Petrenko zu diesem Festtag.
Da ich in der Nähe wohne, habe ich verstanden, welcher Zauber wahre Schönheit hervorbringt: Die Erziehung eines Kindes ist tägliche Arbeit – und diese Arbeit trägt Früchte.
…. eines Tages kam Sweta weinend zur Arbeit. Sie sagte: „Verstehst du, wie leid mir die Eltern meiner Kinder tun? Der Segen, den sie hätten bekommen sollen, das bekam alles ich…“
Viktoria Fedotova (Martin-Klub)